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Geschichten aus dem Leben > Burnout


„Hallo Ingrid, gehst du mit ins Kino?“
„Sehr lieb, danke, aber vielleicht ein anderes Mal.“
Unterhaltungen wie diese hatte ich in letzter Zeit häufig geführt. Immer dann, wenn mich eine Freundin oder einer meiner Bekannten zu etwas einladen wollte, habe ich abgesagt.
„Ach komm, sei nicht so! Wir haben schon ewig nichts mehr unternommen!“ Meine Freundin Petra war nicht gewillt, so schnell aufzugeben, aber diesmal musste ich sie leider enttäuschen.
„Es geht wirklich nicht. Ich bin fix und fertig, die Woche war wieder einmal der Horror.“
Auch das hatte ich in letzter Zeit immer öfter erzählt und natürlich stimmte es auch. Im Büro war wie immer Megastress, die Kinder waren krank gewesen und der Haushalt machte sich schließlich auch nicht von alleine.
„Sei nicht sauer! Wenn ich erst mal wieder Urlaub habe, machen wir etwas zusammen, versprochen!“
„Na, dein Wort in Gottes Ohr.“

Zum Glück war meine Freundin nicht nachtragend. Immerhin wusste sie selbst nur allzu gut, wie stressig der Alltag sein konnte. Aber wenn ich ehrlich war, war es nicht nur der Alltag. Irgendwie hatte ich einfach keine Kraft mehr. Allein bei dem Gedanken, Freunde zu treffen oder mit den Kindern etwas zu unternehmen, fühlte ich mich schon müde, und meistens war ich einfach nur froh, wenn mich alle in Ruhe ließen. Zuerst dachte ich natürlich noch, dass ich mit Arbeit, Kindern und Haushalt eben ausgelastet war, aber irgendwann einmal fiel mir auf, dass ich abends nicht nur völlig erschöpft ins Bett fiel, sondern es morgens auch kaum noch unter die Dusche schaffte. Ich war einfach nicht mehr ich selbst. Ich war nervös, angespannt und reizbar, grübelte oft stundenlang und konnte mich doch kaum konzentrieren.

„Sag mal, geht’s dir nicht gut?“.
Mittlerweile war auch meinem Mann aufgefallen, dass ich mich verändert hatte. Dass ich mich Nacht für Nacht schlaflos im Bett herum wälzte, bekam er natürlich mit. Wann ich endlich doch einschlafen konnte, war es fast schon wieder Zeit zum Aufstehen, und so war es kein Wunder, dass ich mich jeden Morgen wie gerädert aus dem Bett quälte. Man hätte meinen können, ich hätte die halbe Nacht durchgemacht!
„Alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen!“.
Natürlich wollte ich niemanden mit meinen Problemen belasten. Außerdem wusste ich ja selbst nicht, was mit mir los war!  Schließlich hatte jeder einmal ein Tief und davon abgesehen hatte ich auch überhaupt keinen Grund, unzufrieden zu sein: Ich war glücklich verheiratet, hatte zwei tolle Kinder und einen Job, der mir immer großen Spaß gemacht hatte. Früher jedenfalls. In letzter Zeit hatte sich das allerdings geändert. Es hatte einige Umstrukturierungen und Einsparungen in der Firma gegeben, und seither erstickte ich fast in Arbeit.

„Jetzt stell dich mal nicht so an“ war daher ein Satz, den ich mir immer öfter vorsagte. Andere wären glücklich, wenn sie mein Leben hätten! Das änderte allerdings nichts daran, dass ich immer weniger wurde. Ich hatte kaum noch Appetit und auch wenn ich Komplimente für meine „gute Figur“ bekam, war mir die Sache nicht ganz geheuer. Appetitlosigkeit war bei mir noch nie ein Thema gewesen. War es möglich, dass ich ernsthaft krank war? Ich konnte mich zu nichts mehr aufraffen, meine gedrückte Stimmung wollte einfach nicht verschwinden und ich empfand immer weniger Freude am Leben. Sogar Dinge, die mir früher Spaß gemacht hatten, überforderten mich. Aber gerade weil ich mir meinen Zustand so ganz und gar nicht erklären konnte, versuchte ich zunächst einmal, einfach weiterzumachen.
„Geht nicht, gibt’s nicht!“ war immer schon mein Motto gewesen.
Irgendwann würde sich die Sache ganz von alleine regeln, Befindlichkeitsstörungen sollte man nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Allerdings hätte ich das besser doch getan, denn in Wahrheit dauerte es nicht mehr lange, bis mir endgültig die Kraft ausging.

„Ingrid, können Sie die Unterlagen schnell noch in die Zentrale bringen?“
Als mein Chef mich an einem Freitagnachmittag kurz vor Feierabend fragte, ob ich noch rasch etwas für ihn erledigen könnte, dachte ich mir nicht viel dabei. Unsere Firmenzentrale lag ohnehin auf meinem Heimweg, würde ich eben noch kurz vorbei fahren, war ja alles kein Problem! Als ich allerdings wenig später total abgehetzt dort ankam, musste ich mich erst mal am Türstock festhalten. Erschöpft, zitternd und den Tränen nahe stand ich im Sekretariat des obersten Firmenbosses. Was war bloß los mit mir, eben war doch noch alles in Ordnung gewesen?
„Du siehst aber gar nicht gut aus!“
Auch der Chefsekretärin fielen mein käsebleiches Gesicht und mein verschwitztes Outfit sofort auf.
„Wahrscheinlich brauch ich einfach mal Urlaub.“
Peinlich berührt versuchte ich, die Sache herunterzuspielen, denn das Büro war eindeutig nicht der richtige Platz für meine persönlichen Probleme. Und als ich mich kurz darauf entschied, tatsächlich erst mal ein paar Tage frei zu nehmen, war ich schon wieder fest davon überzeugt, dass sich alles bald einrenken würde. Das sollte allerdings ein Irrtum sein.

Denn auch nach ein paar Tagen Auszeit wurde es nicht besser, ganz im Gegenteil!
Obwohl ich die Wohnung tagsüber meistens für mich hatte, mein Mann bei der Arbeit und die Kinder in der Schule waren, kam ich nicht zur Ruhe. Unruhig wanderte ich zwischen den Zimmern hin und her. Ich hatte noch weniger Appetit, konnte noch weniger schlafen als vorher und meine Laune wurde auch immer schlechter. Einmal legte ich mich sogar mitten am Nachmittag ins Bett und starrte stundenlang vor mich hin. Während die Kinder draußen im Wohnzimmer tobten, hatte ich einfach keine Kraft mehr, auf irgendetwas zu reagieren. Ich fühlte mich, als wäre ich in Watte gepackt, nichts drang mehr zu mir durch, aber selbst weinen konnte ich nicht. Allerdings war mir das Lachen auch schon lange vergangen und da ich Angst hatte, bald völlig zusammen zu klappen, schleppte ich mich in meiner Verzweiflung an meinem letzten Urlaubstag zu meinem Hausarzt.

„Ich denke, Sie haben ein Burnout.“
Als mir der Arzt nach einem längeren Gespräch und einer ausführlichen Untersuchung diese Mitteilung machte, schüttelte ich zuerst nur erschrocken den Kopf.
„Ein Burnout? Ich? Nie und nimmer!“
„Sie sollten sich schonen, ich schreibe sie erst mal krank und dann gehen Sie bitte zum Facharzt. Die Sprechstundenhilfe wird Ihnen eine Überweisung für einen Neurologen oder Psychiater mitgeben.“
Bestürzt schaute ich den Arzt an, das konnte doch nicht sein Ernst sein!
„Burnout“ war etwas, was andere bekamen, schwache Menschen, die nicht an sich glaubten und keinen Mumm hatten! Warum in aller Welt sollte mir so etwas passieren?
„So ein Quatsch! Das war ganz sicher eine Fehldiagnose!“
Wieder zu Hause stopfte ich die ärztliche Überweisung erst mal in eine Schreibtischschublade. Ich musste fit sein, im Büro würde bald wieder die Hölle los sein und ich hatte wirklich keine Zeit für diesen Unsinn!

„Bist du sicher, dass du nicht doch auf deinen Arzt hören solltest?“.
Als ich meiner Freundin Petra ein paar Stunden später bei einem Telefonat vom Besuch beim praktischen Arzt erzählte, redete sie mir erst mal gut zu.
„Und was soll das bringen?“
Ich hatte ganz sicher keine Lust, meinen Job zu verlieren! Einen längeren Krankenstand konnte ich mir einfach nicht leisten und auch meine Kinder brauchten mich.
„Und so hilfst du ihnen?“
So schnell wollte Petra nicht aufgeben.
„Mit einer kranken Mutter ist ihnen auch nicht gedient!“.
Damit war die Diskussion für mich beendet. Ich würde den Teufel tun und mich in irgendein Leiden flüchten! Ein paar Tage Krankenstand waren von mir aus ok, aber mehr war einfach nicht drin.

Ganz so überzeugt war ich dann allerdings doch nicht, und so dauerte es nicht lange, bis ich im Internet nach dem Begriff „Burnout“ suchte. Da war von geistiger, körperlicher und emotionaler Erschöpfung in verschiedenen Stadien die Rede, von innerer Leere und Niedergeschlagenheit, davon, dass die Betroffenen unter verändertem Essverhalten, Schlafstörungen und körperlichen Beschwerden litten, von Rückzug aus dem sozialen Umfeld und dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Je mehr ich las, desto mehr fand ich mich in den Beschreibungen wieder und auch mein Mann ließ seit der Krankschreibung durch meinen Hausarzt keine Ausreden mehr gelten und vereinbarte für mich einen Termin bei einer Fachärztin. Außerdem bestand er darauf, dass ich mich in der Firma weiterhin krank meldete. Das war der schwierigste Teil, aber mittlerweile sah ich selbst ein, dass es anders nicht mehr ging.

„Ist das meine Schuld? Was habe ich bloß falsch gemacht?“
Als ich der Ärztin schließlich gegenüber saß, verspürte ich vor allem Verzweiflung und Angst. Aber die Ärztin schüttelte den Kopf.
„Ein Burnout hat nichts mit persönlichem Versagen zu tun“, sagte sie.
Und dann erklärte sie mir, wie wichtig es wäre, offen mit dem Thema umzugehen und sich rechtzeitig Hilfe zu suchen. Ein Burnout-Syndrom käme durch eine lang anhaltende Belastungssituation zustande, die schlussendlich zu einer massiven Überforderung führte.
„Gerade Menschen, die sehr leistungsbereitsind, können davon betroffen sein.“
Manchmal wären berufliche Überlastungen die Ursache, manchmal aber auch private Umstände, wie etwa die lang andauernde Pflege eines schwer kranken Angehörigen. Für die Behandlung stünden Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten zur Verfügung und alle Arten von verschreibungspflichtigen Medikamenten müssten von einem Arzt verordnet werden. Manche Menschen würden stationär behandelt, andere ambulant, welche Behandlung für wen infrage käme, hinge immer von der betreffenden Person und ihrer individuellen Situation ab. Jedenfalls wäre eine genaue Diagnose sehr wichtig. Und natürlich könne man auch selbst etwas zur Genesung beitragen. Gesunde Ernährung, Bewegung und ausreichend Entspannung wären nie falsch und in solchen Situationen oft ganz besonders wichtig.

„Aber machen Sie sich keinesfalls Druck, davon haben Sie ohnehin schon genug.“
Zu Hause ließ ich mir die Worte der Ärtzin noch einmal durch den Kopf gehen. Erst jetzt fiel mir auf, wie lange ich fast schon zwanghaft versucht hatte, ständig die freundliche und hilfsbereite Person zu sein, die alle kannten und mochten. Egal, ob es um den Job ging oder um sonst jemanden, der etwas brauchte: Immer war ich diejenige gewesen, die sich als Erste auf jede Herausforderung gestürzt hatte. Und zwar so lange, bis ich das Gefühl gehabt hatte, meine Tage kaum noch überstehen zu können. Im Laufe der letzten Wochen und Monate war ich immer erschöpfter und zerfahrener geworden, bis schlussendlich fast gar nichts mehr ging.

Wenn ich heute an diese Zeit zurück denke, bin ich froh, dass ich damals Hilfe angenommen habe. Denn natürlich gab es auch Rückschläge und die „guten Ratschläge“ von Leuten, die überhaupt keine Ahnung hatten, haben mir nicht geholfen.
„Kopf hoch, das wird schon wieder“, ist nichts, was einem weiter hilft, wenn man das Gefühl hat, absolut am Ende zu sein. Mittlerweile weiß ich, dass es sich dabei um einen ernst zu nehmenden Zustand handelt und dabei braucht man Menschen an seiner Seite, die etwas von der Sache verstehen und bereit sind, zu helfen. Wer unter einem Burnout leidet, ist weder faul noch unfähig und er weigert sich auch nicht, wieder gesund zu werden. Deshalb bringen auch Vorwürfe oder Schuldzuweisungen rein gar nichts, meistens machen sich die Betroffenen selbst ohnehin schon genug Stress.

„Die Seele ist kein Motor, den man einfach so wieder anwerfen kann“.
Diesen Satz habe ich mal irgendwo gelesen und als ich es geschafft habe, ihn wirklich an mich heranzulassen, habe ich eine ganze Menge begriffen. Anders als früher gehe ich heute nicht mehr ständig über meine Grenzen. „Geht nicht, gibt´s nicht“ ist ein Spruch, den ich endgültig aus meinem Wortschatz gestrichen habe. Anteil daran hatte auch meine Selbsthilfegruppe. Zuerst dachte ich noch, dass ich „so etwas nicht brauche“, aber heute weiß ich, wie wertvoll der Austausch mit Menschen ist, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. So eine Gruppe ist keine Leidensgemeinschaft, sie bietet Hilfe zur Selbsthilfe und stärkt den Selbstwert.
Aber das wirklich Erstaunliche war, dass ich schließlich sogar mit Leuten ins Gespräch gekommen bin, von denen ich früher gar nicht wusste, dass sie auch schon mal am Ende ihrer Kräfte waren. Als es mir langsam wieder besser ging, haben sich mir Menschen aus meinem privaten oder beruflichen Umfeld anvertraut und mir von ähnlich schlimmen Zeiten in ihrem Leben erzählt, ganz egal, ob Burnout, Depression oder eine andere Art von körperlicher oder seelischer Erkrankung.

„Ich bin ein Mensch und ich muss nicht immer nur funktionieren“.
Als ich letztens wieder einmal bei der Psychotherapeutin war, die mir eine gute Bekannte im Anschluss an das Gespräch mit der Fachärztin empfohlen hat, wurde mir klar, dass ich endlich gelernt habe, auf mich und meine Bedürfnisse zu hören. Und das ist ein richtig gutes Gefühl.



* Die Personen und die Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Spezielle Schreibweisen (Fachbegriffe, Gender-Bezeichnungen usw.) wurden in der von der Autorin übermittelten Form übernommen.

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