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Sinnvolle(s) Fragen

Hofbauer Stefan am 15.11.2013
Fr 15 Nov

Eine der häufigsten Fragen, die Menschen stellen, wenn sie eine Psychotherapie beginnen, ist die Frage Warum. - Warum bin ich immer so aggressiv? Warum wage ich es nie, meinen Mund aufzumachen, wenn der Chef mich anschreit? Warum befürchte ich ständig, eine schwere Krankheit zu haben?

In vielen Fällen scheint hinter dieser Warum-Frage die magische Annahme zu stecken, dass nur diese eine Ursache gefunden werden müsste, um alle Probleme im Leben des betreffenden Menschen zu lösen. Allerdings funktionieren Menschen nicht wie Computer oder Roboter, bei denen man nur einen Schalter umlegen muss und alles läuft wieder einwandfrei. Was hier wie eine Plattitüde klingt, scheint doch eine fixe Idee vieler Menschen zu sein.

Die Warum-Frage gilt in der Gestalttherapie daher aus gutem Grund als verpönt. Zum einen, weil es darauf eben nicht nur eine einzige, sondern unzählige Antworten gibt und zum anderen, weil diese Frage zum Intellektualisieren verführt.

Im Allgemeinen suchen wir in der Psychotherapie gemeinsam mit dem Klienten die für ihn gültige Wahrheit und wir bilden Hypothesen, die wir dann im Gespräch zu bestätigen oder zu verwerfen versuchen. Es ist aber nicht gesagt, dass die dann gefundene Erklärung für diesen Klienten für alle Zeit passen wird. Denn er entwickelt sich idealerweise ja auch lange nach der Therapie weiter und wird später andere Erklärungen finden, die ihm passender erscheinen und mehr erklären als die vorherige.

In der Wissenschaft verhält es sich ja im Übrigen genauso. Ist erst einmal eine wissenschaftliche Theorie oder ein Paradigma gefunden, gilt sie vorerst als bewiesen. Nach vielen Jahren, Jahrzehnten und in einigen Fällen vielleicht Jahrhunderten, mehren sich dann die Ausnahmen, die nicht in diese Theorie passen. Zunächst wird dann versucht, die Ausnahmen so zurechtzubiegen und umzuinterpretieren, dass sie dennoch zur bisherigen Theorie passen. Irgendwann ist das aber nicht mehr möglich und es muss ein neues wissenschaftliches Paradigma entwickelt werden, das mehr erklärt als das vorige. Solange bis auch dieses wieder seine Gültigkeit verliert.

Es ist zweifellos klug, Fragen zu stellen. Es ist aber wenig hilfreich, Allerweltsfragen zu stellen. Viel intelligenter ist es, Fragen zu stellen, die ganz existentiell mit uns selbst zu tun haben. Wenn wir etwas fragen, das unmittelbar ist, das hier und jetzt ist, dann wird es existentiell. Erst dann bezieht sich unser Fragen auf unser lebendiges Sein. In vielen anderen Fällen dienen Fragen in erster Linie der Manipulation des Gegenübers. Beispiel: "Was denkst du über mich?" ist eigentlich die getarnte Aussage: "Ich mache mir Sorgen um deine Gefühle für mich und möchte es gerne wissen."

Die Frage Warum führt zu Erklärungen. Warum habe ich Angst im Dunkeln? Warum gerate ich in engen Räumen in Panik? Warum habe ich Angst davor, an einer schweren Krankheit zu leiden? Wir können hunderte von Antworten auf solche Fragen finden und keine einzige davon ist wirklich beweisbar oder widerlegbar. Manche Antwort mag uns für einige Zeit zufriedenstellen. Dann jedoch tauchen wieder Zweifel auf und wir fragen wieder: „Warum?“ Und immer weiter warum, warum, warum, warum…

Wenn ich nach dem Warum frage, erzeuge ich in Wahrheit eine Spaltung in mir. Hier bin ich, unschuldiger, völlig gesunder Mensch und dort ist eine böse, kranke Ursache, die überhaupt nichts mit mir zu tun hat. Das ist das Denken eines veralteten Gesundheits- und Krankheitsverständnisses. Es hat wahrscheinlich sehr wenig mit der Wirklichkeit zu tun.

In der Gestalttherapie gehen wir davon aus, dass jede Neurose ein ursprünglich gesunder Lösungsversuch der Psyche ist. Ein Beispiel: ein Kind, das für sein Aussehen gemobbt wird, mag vielleicht irgendwann im Laufe des Heranwachsens seine überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten entdecken. Allmählich beginnt es seinen Verstand als Waffe gegen andere einzusetzen und sich immer mehr von den "dummen Menschen" da draußen zu distanzieren. Es mag eine zunehmend pathologische oder pathologisch erscheinende Arroganz entstehen, die bewirkt, dass dieser Mensch überhaupt niemanden mehr an sich heranlässt. Eine ursprünglich sinnvolle Lösung der Psyche zum Schutz vor Verletzung wird damit nach und nach zum Hindernis für echten Kontakt.

Wirklich sinnvoll wäre es jetzt zu fragen: Wie erzeuge ich die Distanz zu meinen Mitmenschen? Was genau mache ich da? Was mache ich mit meinem Körper? Welche Körperhaltung nehme ich gerade ein? Was vermeide ich? Nur das führt zurück in die Selbstverantwortlichkeit und zu einem vertieften Verständnis meiner Selbst. Und obendrein kann ich, wenn ich erst einmal weiß, wie ich etwas mache und was genau ich da mache, es einfach sein lassen. Die Frage Warum würde mich nur in den Kopf führen und mir ein Ruhekissen sein, das letztendlich nichts ändert.

Das scheint mir auch der zentrale Fehler vieler psychologischer und therapeutischer Schulen zu sein. Reine Bewusstmachung ist eben nicht genug. Abgesehen davon, dass wir uns hier auch sehr irren können.

Dasjenige zu identifizieren, was ich im Augenblick gerade mache (z.B. Schultern hochziehen, Stirn runzeln, abweisenden Blick aufsetzen, etc.) ist jedoch mit einiger Übung recht leicht. Über die Vergangenheit zu spekulieren dagegen ist mit Unsicherheiten behaftet. Meine Erinnerungen könnten verzerrt sein, im Sinne der sozialen Erwünschtheit oder gemäß meiner tiefen Überzeugung, ich sei durch und durch wertlos.

Naranjo vergleicht das, was wir in der Gestalttherapie tun, mit Meditation, wenn er sagt: "Die Übung, die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten, stellt sich im Zusammenhang der Gestalttherapie sehr ähnlich dar wie die in Worte gefaßte Meditation. Mehr noch, es ist eine in den interpersonellen Bereich gebrachte Meditation in Form einer Selbstoffenbarung." (Naranjo, 1993)

Dabei fungiert der Psychotherapeut im Sinne Martin Bubers idealerweise als eine Art Hebamme, der den Klienten zu seiner Wahrheit führt und ihn immer tiefer verstehen lässt, was er in der Gegenwart gerade tut.

Die Frage Warum ist auch aus dem Grund wenig sinnvoll, weil sie sofort aus der Gegenwart wegführt. Und obendrein würde ich als Therapeut, diese Frage beantwortend, mich über den Klienten stellen und damit fälschlicherweise behaupten, ich wüsste mehr als der Klient selbst. Ich weiß jedoch (fast) nichts über den Klienten, ebenso wie ich (fast) nichts über mich weiß. Das Einzige, worüber ich eine Aussage treffen kann, ist die Beziehung zwischen mir und dem Klienten, über dasjenige, was im Hier und Jetzt passiert. (Buber, 1999)

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Naranjo, Claudio (1993). Gestalt: Präsenz, Gewahrsein, Verantwortung. Grundhaltung und Praxis einer lebendigen Therapie. Arbor Verlag.

Buber, Martin (1999). Ich und Du. Gütersloher Verlagshaus.

#Gestalttherapie #Warum-Frage #Neurose



www.gestalttherapeut.com
Gestalttherapie Neurose Warum-Frage
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