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Projektion

Hofbauer Stefan am 4.10.2013
Fr 4 Okt

Was Peter über Paul sagt, sagt oft mehr über Peter als über Paul.

Wenn wir über andere Menschen sprechen, sagen wir damit immer auch sehr viel über uns. Oft ohne uns dessen bewusst zu sein. Diesen psychologischen Mechanismus nennen wir in der Psychologie Projektion. Das Wort kommt vom lateinischen proicere und bedeutet vorwerfen, hinwerfen, wegwerfen. Und genau darum geht es in der Projektion, etwas wird hinausgeworfen oder vorgeworfen.

Projektion ist allgegenwärtig. Wenn wir auch nur einen Fuß auf die Straße setzen oder eine Tageszeitung aufschlagen oder uns an unserem Arbeitsplatz mit KollegInnen und KundInnen konfrontiert sehen, begegnet sie uns unentwegt. Ununterbrochen werden andere dafür beschuldigt, dass irgendetwas in der Welt nicht so funktioniert, wie wir das gerne hätten. Da wird etwa über die Faulheit der Politiker gejammert oder über die Gier der Banker oder die Rücksichtslosigkeit in unserer Gesellschaft.

Dabei sollte uns bewusst sein, dass alle diese Klagen etwas mit uns selbst zu tun haben. Denn Projektion bezeichnet den Mechanismus, dass ich etwas, das ich bei mir selbst nicht sehen kann, in meiner Umwelt wahrnehme. Derjenige Mensch, der beispielsweise Aggression projiziert, wird sich ständig darüber beklagen, wie aggressiv alle Menschen in seiner Umgebung sind. Sich selbst hält er dabei für den friedliebendsten Menschen der Welt.

Jede Projektion enthält auch ein Körnchen Wahrheit. Um beim genannten Beispiel zu bleiben: der Aggression Projizierende projiziert nicht nur seine (unbewusste) Aggression in die Umwelt, er findet dort auch tatsächlich Aggression, allerdings wahrscheinlich nicht in dem Ausmaß, in dem sie vom Betroffenen gesehen wird. Und so sind Projektionen im therapeutischen Prozess oft nur dadurch erkennbar, dass viel unangemessener Affekt mit ihnen verbunden ist.

Die Psychoanalyse versteht unter Projektion die Verlagerung eines innerpsychischen Konflikts auf andere Menschen oder Menschengruppen. Die Projektion gehört damit zu den Abwehrmechanismen.

C.G. Jung geht in der Analytischen Psychologie davon aus, dass wir insbesondere unseren Schatten nach außen projizieren. Der Begriff Schatten ist nicht als Wertung zu verstehen, sondern bezeichnet lediglich die unbewussten Anteile unseres Selbst. Und diese Anteile werden dann eben gerne auf meinen bösen Nachbarn, meinen unglaublich faulen Arbeitskollegen, oder andere religiöse Gruppierungen projiziert.

In der Gestalttherapie gehört die Projektion zu den sogenannten Kontaktunterbrechungen. Dabei tut der „Projektor“ den anderen das an, was er ihnen vorwirft. Der projizierende Neurotiker sieht in der Außenwelt ständig jene Teile seiner Persönlichkeit, mit denen er sich nicht identifizieren will. Der Organismus erlebt sie als etwas, das außerhalb seiner Ichgrenzen liegt und reagiert demgemäß mit Aggression.

Der Vorteil einer solchen Haltung liegt auf der Hand: Wenn man seine eigene feindselige Haltung projiziert, ist es leicht, tolerant zu sein. Verdient man nicht ein Schulterklopfen dafür, dass man inmitten einer so schlechten Welt so gut ist? (Perls, Hefferline, Goodman, 1997)

Projiziert werden können übrigens nicht nur negative Empfindungen, sondern auch positive. Im Allgemeinen geschieht das bei Verliebtheit. Urplötzlich bin ich von einem anderen Menschen ganz außergewöhnlich fasziniert. In der Verliebtheit projiziere ich lediglich andere, positivere Schattenanteile meiner Persönlichkeit. Ich komme zu dem Schluss: „… so schön, intelligent, witzig, spontan, kreativ wie dieser Mensch bin ich nicht. Diese Person da draußen aber ist es! Sie ist meine Erlösung, die Erfüllung all meiner Sehnsüchte!“

In Wirklichkeit bedeutet das lediglich, dass ich diese positiven Eigenschaften oder Selbstzuschreibungen noch nicht verwirklicht habe oder mir nicht zutraue. Das tragische in diesem Fall ist, dass wir, sollten wir mit dieser Person in eine Partnerschaft gehen, mit der Zeit diese Eigenschaften auch entwickeln, quasi „heraus lieben“. Und im gleichen Maß wird dann der andere Mensch uninteressanter. Wir ent-lieben uns wieder. Psychologisch bedeutet das nur, dass die Projektion nicht mehr wirksam ist.

Vom Mechanismus der Projektion ist übrigens auch schon im Neuen Testament die Rede, wenn Jesus sagt: "Den Splitter, der im Auge deines Bruders ist, den siehst du; aber den Balken, der in deinem Auge ist, den siehst du nicht. Wenn du den Balken aus deinem Auge gezogen hast, dann wirst du klar genug sehen; um den Splitter aus dem Auge deines Bruders zu ziehen." (Thomas Evangelium; vgl. auch Mt 7,3 und Lk 6,41)

Insofern ist es sehr lohnend, genau hinzusehen, wann immer wir starke Gefühle in uns bemerken. Denn ICH liebe, hasse, werte ab, verurteile. ICH tue das! Insofern ist der Hass, die Abwertung, die Liebe IN MIR.

Wahrscheinlich ist es aber notwendig, genau hinzusehen, um herauszufinden, was genau ich an dem anderen ablehne. Ein undifferenziertes: „Ich hasse XY“, ist für die Selbsterkenntnis wenig hilfreich. Ich muss mir ganz bewusst machen, welche Eigenschaft es ist, die ich ablehne. Das erfordert Zeit und Mühe, wird aber mit zunehmender Selbsterfahrung, d.h. dann, wenn ich meinem Schatten schon öfters begegnet bin, immer leichter.

So könnte ich etwa über die Aussage: „Ich hasse meinen Nachbarn“, herausfinden, dass ich aggressiv werde, wenn er seine Musik so laut aufdreht und mich dann fragen: „Ja, was ist eigentlich mit MEINER Aggression?“ Plötzlich bemerke ich dann, dass ich immer wieder mal furchtbar wütend werde, meine Aggression aber üblicherweise nicht so zeigen möchte. Sie passt nicht in mein Selbstbild. Ich möchte mich lieber als friedlich und harmonisch sehen. Dann ist ein solcher Nachbar ein Geschenk des Himmels. Er lebt die Aggression für mich und ich bin fein raus…

C.G. Jung hat gesagt, dass der Prozess der Individuation (östliche Philosophien würden vielleicht „Selbstverwirklichung“ dazu sagen) dadurch in Gang kommt, dass wir nach und nach unsere Projektionen zurück nehmen. Das sagt sich so leicht! Aber ich habe den Verdacht, dieses Zurücknehmen der Projektionen hört nie auf. Das Böse im Außen zu suchen ist ja auch viel einfacher, unkomplizierter und ich muss mich nicht mit mir selbst beschäftigen.

Und die Schamanen bzw. buddhistische, hinduistische, taoistische Traditionen gehen sogar davon aus, dass ich jedes Problem dieser Welt überhaupt nur IN mir lösen kann. Löse es IN dir und es ist in der Welt gelöst. Das oben zitierte Jesus-Wort scheint mir übrigens genau in die gleiche Richtung zu weisen.

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Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (1997). Gestalttherapie. Grundlagen. Stuttgart: dtv.
 

#projektion #schatten #abwehrmechanismus #kontaktunterbrechung



www.gestalttherapeut.com
Abwehrmechanismus Kontaktunterbrechung Projektion Schatten
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